Halt&Flügel

September ist unser Geburtstagsmonat!
An Geburtstagen mag ich besonders den Abend VOR dem großen Tag.
Ich mag das geschäftige Treiben, wenn alle schon schlafen, das Backen und Packen, das Drapieren und Platzieren, das Schmücken, das Vorbereiten und Vorfreuen.
Ich merke, wie bei mir selbst die Aufregung steigt:
Sind alle Geschenke verpackt?
Sind es die richtigen?
Ob der Kuchen schmeckt?

Morgen ist es soweit!

In bin aufgeregt und in Vorfreude auf diesen Tag:
den GEBURTSTAG!
Fast so wie damals, als die erste Wehe das Kommen des kleinen Wunders ankündigte.
Plötzlich war die Aufregung da:
Habe ich alles eingepackt?
Ist alles richtig drapiert und platziert?
Damals wusste ich nicht, was das Leben für uns als kleine, neue Familie bereithielt.
Wusste nur, dass ich es kaum erwarten kann, dass langersehnte Geschenk – dieses kleine Wunder Mensch – in meine Arme zu nehmen, ihm Halt&Flügel zu geben.

 

Und heute ist wieder Geburtstag.
Ich halte inne, staune, wie das kleine, hilflose Baby von damals sich entwickelt, wie es selbstständig wird, seine Persönlichkeit entfaltet, seinen eigenen Willen hat und seine Pläne verfolgt.

 

Ich bin voller Freude darüber!
Und ich bin in Vorfreude.
Ja, ich bin sogar aufgeregt, denn ich kann es kaum erwarten, zu sehen, was das neue Lebensjahr bereithält.


Doch jetzt möchte ich erstmal nur eins:

Das Geburtstagskind in die Arme nehmen, ihm "Happy Birthday" singen und es mit Halt&Flügel für das kommende Lebensjahr segnen.

 

HALT& FLÜGEL

Es ist der Tag, an dem das, was für die einen alltäglich ist, für mich zum Besonderen wurde.

Erst, eine lange Zeit des Hoffens, Aus- und Durchhaltens,
dann der Moment,

 

wo du kleiner Mensch,
du großes Wunder,
in meinen Arm gelegt wirst.

Bis jetzt waren wir eins.
Nun halte ich dich
endlich
 und zum ersten Mal, ganz fest in meinen Armen.


Da passiert es:
ich verliebe mich haltlos
in deine blauen Augen,
die kleinen Fingern,
deine Fußzehen

und deinen Duft!

Am liebsten würde ich dich nie wieder loslassen,
aber ich spüre, dass das der Anfang davon ist.

 

Was ich jetzt nur erahnen kann, wird wohl die größte Herausforderung meines Lebens:
Dir sicheren HALT und gleichzeitig liebevoll FLÜGEL zugeben.

 

Flügel, die dich beim eigenen Fliegen sicher halten.

Doch nun halte ich dich erstmal,
du kleines Wesen, du Wunder!
Auch, um dir zu zeigen, wer du bist, wer ich bin, wo Grenzen sind.
Noch verschwimmen sie ...

So finde ich mich auf dem Sofa wieder, mit dir auf dem Arm.

Sicher und still halte ich dich fest,
aus Angst, du könntest wach werden.

 

Wieviel Nachmittage haben wir hier schon gesessen - du schlafend und ich alle meine Bedürfnisse unterdrückend?
Ich versuche es auszuhalten, dass du gerade die Prioritäten vorgibst.
Ich versuche anzuhalten ...,
auch die Zeit, aber sie bleibt nicht stehen.

So halte ich dich sicher im Arm,
bei deiner ersten Impfung, unterdrücke die Tränen, die du laut weinst, denn jeder Stich schmerzt auch mich, aber ich vertraue darauf, dass das gut für dich ist.

Ich möchte dich beschützen!
Doch, schnell wird mir bewusst,
dass ich nicht jede Gefahr,
jeden Schmerz und
jedes Scheitern von dir abhalten kann (und will).

Doch: Ich bin da!
Halte dich tröstend in meinem Arm,
helfe dir, wieder aufzustehen
und weiter zu gehen.

Schritt für Schritt.
Bereit für dein Leben:
Losgehen, hinfallen ...
Innerlich springe ich auf,
aber dein "Alles tut, Mama!"
hält mich zurück und an meinem Platz.
Während ich den Atmen noch anhalte, gehst du weiter, als wäre nichts passiert.

Wenig später halte ich dich wieder fest an der Hand.
Gemeinsam schlendern wir durch die Straßen,
zu deinem 1. Kindergartentag,
dem 1. Fussballtrainung,
der 1. Musikstunde,
zum Zahnarzt ...
viele erste Momente in denen ich dir zeigen will:
Ich bin da für dich,
gehe mit dir,
zumindest ein Stück ...

Und, wenn ich weggehe und du weinst,
halte ich mich zurück,
weil ich weiß, du - nein wir - schaffen das.
Ein unsichtbares Band hält uns zusammen.

Denn auch du hälst mich und wir halten es aus,
bis zu dem Moment,
wo wir uns wiedersehen,
aufeinander zu rennen,
uns in den Armen halten und ich dich frage:
"Wie wars!"
Und dann kommt ein "Gut!"
und die Stille danach,
die ich nicht gut aushalten kann,
denn ich möchte doch Anhaltspunkte,
um mit dir Leben zu teilen
und ich will doch so gern Teil von deinem Leben sein.

Halt geben, bedeutet wohl auch ein "Halt!" anzunehmen, Grenzen zu zeigen und zu akzeptieren.

Und wir - Du und ich - testen die des Anderen gern aus.

Denn es kommt der Moment, nicht oft, aber irgendwann und es schreit laut und aus uns heraus:
"Halt! Stopp!
Bis hier hin und nicht weiter!
Das Verhalten dulde ich nicht."
Von Zeit zu Zeit wird so unser Verhältnis auf die Probe gestellt.
Fetzen fliegen,
doch zur Versöhnung halten wir uns wieder fest in den Armen.

Einen Moment halte ich inne, stelle fest:
Du bist und bleibst ein Teil von mir.
In guten wie in schlechten Tagen, an denen ich mich frage, gebe ich dir genug von dieser Liebe, wenn ich mich selbst so haltlos fühle, so haltlos bin?

Doch spätestens in dem Moment, wo du meine Nähe suchst,
weiß ich:
du hälst mir diese Tage nicht vor,
trägst sie mir nicht nach,
sondern genießt - genau wie ich - das wir uns haben.

 

So will ich den Moment festhalten als Foto - du auf meinem Schoß, wir auf dem Sofa, gemeinsam am Strand ...

Die Zeit lässt sich nicht aufhalten und so wirst du groß und größer,
wächst mir - im wahrsten Sinne des Wortes - über den Kopf.

Und dann, irgendwann kommt der Tag,
der für viele schon da war,
aber für dich besonders ist:
Du hälst dein Abschlusszeugnis in der Hand.
Und ich das Taschentuch bereit,
denn ich weiß, jetzt ist es an der Zeit,
dich nicht aufzuhalten,
sondern zu ermutigen, deine Flügel auszubreiten und
deinen Weg zu gehen.

 

Und wenn du einmal (oder auch öfter) Halt machen möchtest, dann bin ich da, halte meine Arme offen und einen Platz für dich bei mir auf dem Sofa frei ...
und der in meinem Herzen, gehört sowieso nur dir!

fraeuleinimproesie 08/2022